Die Suche nach der RAF-Terroristin
Die Fahnder durchsuchten Wohnungen und Campingplätze, stoppten Züge und Busse, observierten sogar eine Beerdigung. Doch jahrelang blieb die Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette verschwunden. Wie lief die Suche?
In dem brasilianischen Tanzverein in Berlin-Kreuzberg ahnte man wohl nicht, dass die freundliche „Claudia“, die ab und an vorbeischaute und an Capoeira-Kursen teilnahm, eine der meistgesuchten Frauen des Landes war: Daniela Klette, 65 Jahre alt, mutmaßliche RAF-Terroristin, gesucht wegen zahlreicher Straftaten, darunter versuchter Mord.
Am Montagabend dann griffen die Fahnder des Landeskriminalamtes (LKA) Niedersachsen gemeinsam mit der Berliner Polizei zu. In der Berliner Sebastianstraße nahmen sie Daniela Klette in einer kleinen Wohnung in einem unscheinbaren Häuserblock fest.
Rund 30 Jahre lang war Klette für die Fahnder ein Phantom. Dabei lebte sie zuletzt offenbar nicht sehr versteckt. Der „Untergrund“, in dem Daniela Klette vermutet wurde, war kein Dorf irgendwo auf dem Land, auch kein Campingplatz im Ausland, sondern ein quirliger, multikultureller Kiez der Hauptstadt. Die frühere Linksterroristin, die sich wohl als gebürtige Italienerin ausgab, soll sogar bei Facebook aktiv gewesen sein, gab wohl Nachhilfe für Kinder aus der Nachbarschaft, der Tanzverein warb teilweise mit einem Foto von ihr
Hoher Ermittlungsaufwand
Warum hat es dennoch so lange gedauert, bis Daniela Klette gefasst werden konnte? Immerhin war der Aufwand, den die Ermittler betrieben immens. Mehr als zehn Jahre wurden unzähligen Spuren und Hinweise im In- und Ausland verfolgt. Es wurde gar eine Belohnung von 150.000 Euro ausgesetzt.
Daniela Klette wird, ebenso wie die immer noch Gesuchten Ernst-Volker Staub und Burkhard Garweg, der sogenannten dritten Generation der Roten Armee Fraktion (RAF) zugerechnet.
Die Gruppe soll verantwortlich sein für den Mord am Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen und am Treuhand-Chef Detlev Rohwedder in den 1990er-Jahren. Außerdem soll sie an den Anschlägen auf die Deutsche Bank in Eschborn und die US-Botschaft in Bad Godesberg beteiligt gewesen sein.
Der Generalbundesanwalt geht zudem davon aus, dass Klette gemeinsam mit Staub und Garweg wohl für den letzten Anschlag der RAF verantwortlich ist: Das Sprengstoffattentat auf das Gefängnis im hessischen Weiterstadt im März 1993
Jahrelang spurlos verschwunden
Danach verschwand das Trio zunächst spurlos. Bis im Juni 2015 bei Stuhr nahe Bremen ein Geldtransporter überfallen wurde. Die maskierten Täter sollen ein Sturmgewehr und eine Panzerfaust verwendet haben. Das Fluchtfahrzeug wurde in einem Waldstück gefunden, es war angezündet worden. Die Spurensicherung brauchte rund ein halbes Jahr, um ausreichend DNA sichern zu können. Danach war für die Fahnder klar: Die Täter sollen Klette, Staub und Garweg gewesen sein.
Die Staatsanwaltschaft Verden war zuständig. Und nun lag die Suche nach den flüchtigen Ex-RAF-Terroristen beim LKA Niedersachsen. Die Ermittler fragten damals beim Bundeskriminalamt (BKA), ob noch etwas gegen Klette und die mutmaßlichen Komplizen aus den 1990er-Jahren vorlag. Tatsächlich gab es noch ein Verfahren – und Haftbefehle des Generalbundesanwalts.
Die neuen Taten allerdings – sechs Raubüberfälle in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen zwischen 1999 und 2016, die dem Trio schließlich zugeordnet wurden – galten nicht mehr als terroristische Straftaten, sondern als gewöhnliche Kriminalität. Dennoch wurde nun wieder mit neuem Hochdruck nach den mutmaßlichen Ex-RAF-Mitgliedern gefahndet.
Unzählige Hinweise
Beim niedersächsischen LKA wurde eine „Besondere Aufbauorganisation“ (BAO) namens „Vita“ gegründet. Die Ermittler begannen damit, zurückliegende Raubüberfälle zu überprüfen, versuchten bestimmte Muster zu erkennen, einen „modus operandi“. Sie fanden heraus, dass die Fluchtautos bei Gebrauchtwagenhändlern oder Privatpersonen erworben worden waren. Bezahlung in bar, es wurde kein Ausweis vorgelegt. Die Käufer, es sollen meist Staub oder Garweg gewesen sein, legten großen Wert darauf, dass die Fahrzeuge absolut fahrtauglich waren und einen gültigen TÜV hatten – sie wollten offenbar kein Risiko eingehen zufällig in eine Verkehrskontrolle zu geraten.
Durch die Öffentlichkeitsfahndung bekamen die niedersächsischen Ermittler im Laufe der Jahre unzählige Hinweise auf die drei Gesuchten: Mal wollte sie jemand in einem Zug nach Helgoland gesehen haben, mal in Frankfurt am Main an einer Ampel, bei einem McDonalds-Restaurant an der Autobahn oder in einer Bahn zwischen Bayreuth und Regensburg. Es wurden zahlreiche Busse und Bahnen angehalten und Personen überprüft. Jedoch ohne Erfolg. Zuletzt gab es vor zwei Wochen im Wuppertaler Hauptbahnhof einen Fehlalarm.
Auch Hinweise auf einen möglichen Aufenthaltsort im Ausland gab es oft. In einem Fluchtwagen waren Papierschnipsel einer niederländischen Zeitung entdeckt worden. Auch die Überprüfung von Handydaten legten den Verdacht nahe, dass die Untergetauchten vielleicht in den Niederlanden leben könnten. Die Zielfahnder machten sich außerdem auf nach Spanien, aber auch dort liefen die Ermittlungen ins Leere.
Einmal glaubte ein deutscher Polizist im Urlaub einen der Gesuchten auf einem Campingplatz in Italien erkannt zu haben. Spezialkräfte der Polizei durchsuchten daraufhin das Gelände und stürmten Wohnmobile. Als die Ermittler herausfanden, dass einer der Untergetauchten offenbar eine bestimmte Tabakmarke rauchte, gab es Überwachungsmaßnahmen in einem Laden, in dem eine verdächtige Person solchen Tabak regelmäßig kaufte. Man hoffte vergeblich, der Gesuchte würde vielleicht auftauchen.
Es gab zudem die Hypothese, dass Geldtransporter wohl vor allem in der Vorweihnachtszeit überfallen werden, wenn die Kassen der Geschäfte voller sind. Daraufhin fuhren zeitweise in mehreren Transportern in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen Spezialkräfte der Polizei mit, in der Hoffnung, das RAF-Trio würde wieder zuschlagen.
Überwachungskameras auf dem Friedhof
Im Fall von Daniela Klette gingen die Fahnder einen weiteren ungewöhnlichen Schritt: Als vor einigen Jahren ihr Vater in Konstanz am Bodensee starb, gab es die Hoffnung, sie würde sich vielleicht bei der Beerdigung noch einmal blicken lassen. Die Ermittler installierten daraufhin Kameras auf dem Friedhof. Doch auch diesmal hatten sie keinen Erfolg.
Auch der Verfassungsschutz wurde in die Suche nach Klette, Staub und Garweg eingebunden. Frühere Kontaktpersonen der Behörde aus dem linksextremistischen Milieu der RAF-Zeit wurden aufgesucht und befragt. Immerhin zeigte sich die Szene durchaus solidarisch mit den Untergetauchten: In der Hamburger Hafenstraße tauchte 2016 ein Plakat mit dem Slogan „Freiheit und Glück für Burkhard, Dani und Ernst“ auf. Auch im Szeneblatt „Rote Hilfe“ wurde den Gesuchten „viel Kraft“ und „lasst euch nicht erwischen“ gewünscht.
Garweg und Staub weiter untergetaucht
Im Frühjahr 2023 wurden bei Durchsuchungen in Hamburg und Frankfurt am Main außerdem Briefe gefunden, die offenbar von Burkhard Garweg stammten. Seine Fingerabdrücke konnten darauf sichergestellt werden. Der heute 55-Jährige bleibt ebenso wie der 69-jährige Ernst-Volker Staub weiter verschwunden.
Im Fall von Daniela Klette war es wohl schließlich ein Hinweis aus der Bevölkerung, der die Ermittler auf die richtige Spur führte. Im November 2023 hatte sich jemand gemeldet – und den entscheidenden Tipp zu „Claudia“ in Berlin-Kreuzberg gegeben.
Reporterinnen und Reporter des Podcasts „Legion“ waren wohl fast zur gleichen Zeit auf die Gesuchte gestoßen, hatten sie allerdings letztendlich nicht ausfindig machen können. Sie hatten im Zuge der Recherche die alten Fotos aus dem brasilianischen Tanzverein im Internet entdeckt. Ein Experte hatte mit Software für Gesichtserkennung dabei
geholfen
Tagesschau